Datum: Fr, 28.6 • 15:20 - 16:10 • Spotify • TikTok • Instagram
Im Frühjahr 2023 wächst im deutschen Leipzig Stück für Stück das Ichbewusstsein einer Band, die sich Tränen nennt und die nach Monaten galanter Geheimniskrämerei im Juni 2023 mit „Stures dummes Herz“ das erste Stück Musik in die Welt entlässt. Und zwar in einer Konstellation, die wohl niemand erwartet hätte. Links: Gwen Dolyn, die seit 2020 mit Punk-Attitüde den deutschsprachigen Progressive-Pop-Untergrund aufmischt und begleitet von ihrer Band Toyboys längst zum Postergirl der „NNDW“ avanciert ist. Auf der anderen Seite: Steffen Israel, Gitarrist der Chemnitzer Band Kraftklub.
Gwen Dolyn und Steffen Israel dürften von der Größe ihres Projektes Tränen anfangs selbst überrascht gewesen sein – zunächst war da lediglich Gwens Idee, den Deutschpunk-Klassiker „Duell der Letzten“ von Chaos Z neu zu interpretieren. Steffen hatte Bock sich zu beteiligen, man traf sich im Studio. Innerhalb kürzester Zeit wuchs aus einer klassischen Punk-Cover-Version eine innovativere Reprise: ein modernes „Duell der Letzten“, das zackig und doch dreamy, hämmernd und zugleich harmonisch, angewidert und dennoch wehmutvoll klingt. Erstaunlich organisch, improvisiert, beinahe kopflos war eine eigenständige Sound-Ästhetik gefunden, getragen von sinistrer New- Wave-Aura, klangschönen Pop-Passagen, nachhallenden Vocals, 80’s-esken Synthieflächen und dominanten Gitarrenläufen. Warum also nicht einen zweiten Song schreiben, oder gar einen dritten?
Machen wir es kurz: am Ende einer etwa einjährigen kreativen Reise steht mit „Haare eines Hundes“ nun ein komplettes Tränen-Album inklusive ausgeklügelt-cineastischem Begleitwerk. „Haare eines Hundes“ lebt von Retro-Aura und graumeliertem Farbenspiel, vom Mut zur Schmutzigkeit, von bizarrer Taktung und gleichzeitiger symphonischer Fülle. Chorale Episoden und sonore Ohrwurm-Momente zerstäuben in verwaschenen Brüchen, Epochalität und Rotzigkeit liegen nur Millimeter voneinander entfernt, verknoten sich zwischen Temporeichtum und kleinen Momenten des Augenzwinkerns. Das bindende Element im Feuerwerk: Gwen Dolyns Stimme. Und, na klar, diese unverwechselbaren Texte voll nahbarer Bedrücktheit und findigem Gedankenspiel, die mal an Wir sind Helden, mal an Hans-A-Plast und mal an Ideal erinnern.
Ein exemplarisches Beispiel für Gwens regellose Schreibkunst und Steffens eigenbrötlerisches Melodienverständnis ist „Stures dummes Herz“, die allererste Single in der Tränen-Geschichte. Was bei oberflächlichem Hinhören einen euphorischen Lovesong vermuten lässt, entpuppt sich in Wahrheit als das exakte Gegenteil. Es scheint ein komplexer Disput im Auge desolater Gefühlskonstrukte, eine Ode aufs Verkomplizieren mit versöhnlichem Ende zu sein: „der Kick geht mitten in den Bauch, aber mit dir halt’ ich es aus“. Und aushalten lässt sich auch so ein Tränen-Live-Gig ganz gut. Überzeugt euch selbst. In Linz am Lido Sounds.
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